Lebensraum Streuobstwiese

 

Den Obstbau haben die Römer in unsere Gegend gebracht. Besonders seit dem 18. Jahrhundert unter Herzog Carl Eugen entwickelte er sich zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig; auch das Holz der Obstbäume war (z. B. für die Möbelherstellung) sehr geschätzt. Die Ortschaften lagen in einem Kranz von Streuobstwiesen. Noch 1938 zählte man in Württemberg 15 Millionen Hochstämme, in Baden 11 Millionen Bäume. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Niedergang der Streuobstwiesen: veränderte Qualitätsansprüche und der Import von Früchten machten Streuobst unattraktiv. Von 1957 bis 1974 wurden vom Stuttgarter Landtag sogar Rodungsprämien bezahlt und die angeblich wirtschaftlicheren Niederstamm-Obstplantagen gefördert.

Streuobstwiese in Esslingen Foto: C. Reimers
Streuobstwiese in Esslingen Foto: C. Reimers

 

Die Rodungsprämien sind zum Glück Vergangenheit. Trotzdem verschwinden immer mehr Streuobstwiesen, weil sie entweder gar nicht gepflegt oder in einer Weise genutzt werden, die sie ökologisch entwertet. Aus fachlichen Gründen müssten Streuobstwiesen als Biotope gesetzlich geschützt werden. In Baden-Württemberg war und ist es politischer Wille, dies zu verhindern, obwohl in anderen Bundesländern, z. B. Hessen, Streuobstwiesen geschützte Biotope sind.

Frühling in den "Rosselen", Oberesslingen Foto: C. Reimers
Frühling in den "Rosselen", Oberesslingen Foto: C. Reimers

 

Unsere Esslinger Streuobstwiesen gehören zu den ökologisch besonders wertvollen Lebensräumen in der Kulturlandschaft. Sie verbessern das Klima und sind bei naturverträglicher Nutzung Rückzugsgebiete für viele Tiere und Pflanzen.
Eine Streuobstwiese sollte also am besten auch eine bleiben!

Eine Streuobstwiese ist

  • kein Bauland,
  • kein Vorstadtgarten mit Wochenendvilla, englischem Rasen und Ziersträuchern,
  • kein Gemüse- oder Schrebergarten
  • keine Obstplantage
  • kein Acker
  • kein Hühnerstall
  • kein Motocross-Gelände
  • und schon gar keine Müllkippe.

Wer solch ein kostbares Stück Land sein eigen nennt oder auch nur zur Erholung nutzt, sollte ihm dies alles nicht antun.


Müllentsorgung in den Streuobstwiesen Foto: K.H.Reimers
Müllentsorgung in den Streuobstwiesen Foto: K.H.Reimers

 

Was ist eine Streuobstwiese?

Auf einer Streuobstwiese stehen Hochstamm-Obstbäume verschiedener Arten (Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen etc.) nicht in Reih und Glied und nach Obstsorten geordnet, sondern locker über das Gelände "verstreut" - Apfel neben Birne, Kirsche neben Zwetschge etc. Das Gras auf der Wiese wird naturverträglich gepflegt, d. h. es wird nur ein- bis zweimal jährlich gemäht und abgeräumt. Die ursprüngliche Nutzung war die Futtergewinnung für das Vieh, entweder frisch, als Heu oder durch Beweidung.

 

Tagpfauenauge und Dickkopffalter Foto: NABU/R. Jürgens
Tagpfauenauge und Dickkopffalter Foto: NABU/R. Jürgens

 

Der ökologische Wert einer Streuobstwiese

Inzwischen weiß man, dass Streuobstwiesen jede Obstplantage an Artenvielfalt weit übertreffen: 85 % mehr Spinnen-, 50 % mehr Laufkäferarten und die sechsfache Zahl an Fluginsekten lebt in einer Streuobstwiese. Bienen fliegen sechzehnmal lieber eine Streuobstwiese als eine Obstplantage an. Kein Wunder: Hier wird nicht schon in die Obstblüte gespritzt und die naturverträglich gepflegten Wiesen bieten eine Fülle zusätzlicher Blütenpflanzen.

 

Honigbiene an einer Winterling-Blüte Foto: NABU/Klein
Honigbiene an einer Winterling-Blüte Foto: NABU/Klein

 

Über 5000 Arten leben in Streuobstwiesen; sie gehören damit zu den mannigfaltigsten Lebensräumen Mitteleuropas. Der Artenreichtum erklärt sich aus der einzigartigen Kombination von "Baum" und "Wiese"; man findet also wiesen- und waldbewohnende Tier- und Pflanzenarten, darunter auch seltene und bedrohte Tiere wie Schmetterlinge, Fledermäuse, Wildbienen, Vögel (z. B. Steinkauz, Halsbandschnäpper, Kleinspecht, Wendehals und Wiedehopf).

Kleinspecht: seltener Gast in Esslinger Streuobstwiesen Foto: NABU/T.Dove
Kleinspecht: seltener Gast in Esslinger Streuobstwiesen Foto: NABU/T.Dove

 

Streuobstwiesen sind wichtig für den Klimaausgleich: Sie produzieren Kalt- und Frischluft, sind Windschutz und Sonnenschutz. Außerdem verhindern sie in Hanglagen die Bodenerosion.

Mittlerweile hat man ihre Bedeutung als Genreservoir erkannt: Die Vielfalt an robusten, an das jeweilige Klima angepassten Obstsorten geht im heutigen Plantagen-Obstbau weitgehend verloren. Diese alten Sorten werden aber für die Züchtung dringend gebraucht, z. B. zur Anpassung an veränderte Klimabedingungen oder Schädlinge und Krankheiten.

Verloren gingen auch Aroma und Geschmack: Viele Verbraucher wissen heute Obst und Säfte von heimischen Streuobstwiesen wieder zu schätzen!

 

Halsbandschnäpper Foto: NABU/T.Dove
Halsbandschnäpper Foto: NABU/T.Dove

 

Die NABU-Gruppe Esslingen

setzt sich für den Erhalt von Streuobstwiesen ein. Wir bewirtschaften einen NABU-Garten mit Streuobst-Anteil am Hainbach, das uns als Pachtgrundstück zur Verfügung gestellt wurde. Außerdem arbeiten wir bei der Streuobstgruppe der Agenda 21 mit, die ehrenamtlich Streuobstwiesen naturverträglich pflegt, deren Eigentümer dazu nicht in der Lage sind.

Projekt "Streuobstwiesen pflegen und Obst vermarkten"

2007 und 2008 veranstalteten wir zusammen mit dem Grünflächenamt der Stadt Esslingen und anderen Vereinen Streuobst-Blütenwandertage.
Am 14.3.2009 veranstalteten wir eine Hochstamm-Aktion seltener einheimischer Obstsorten und gaben Nistkästen für die Wiederansiedlung des Wiedehopfs kostenlos an Streuobstwiesen-Besitzer ab.
Nähere Informationen zu diesen Veranstaltungen finden Sie auf unseren Extra-Seiten.

Nistkästen für den Wiedehopf

 

 

Wendehals: macht sich rar in den Esslinger Streuobstwiesen Foto: NABU/T.Dove
Wendehals: macht sich rar in den Esslinger Streuobstwiesen Foto: NABU/T.Dove

 

Baugebiete in Streuobstwiesen

lehnen wir entschieden ab! Es befremdet uns, dass im Esslinger Gemeinderat dafür plädiert wird, die Strengenäcker in Berkheim zu bebauen - Grundstücksbesitzer hatten dort vor etwa zehn Jahren auf einer Streuobstwiese sämtliche Bäume gefällt, um die Ausweisung als Baugrundstück zu beschleunigen. Diese Handlungsweise sollte nicht nachträglich belohnt werden. Und wie passen solche Pläne zum erklärten Ziel der Stadt Esslingen und der Landesregierung, Streuobstwiesen zu schützen?

 

Gerodete Streuobstwiese in Berkheim Foto: D.Francke
Gerodete Streuobstwiese in Berkheim Foto: D.Francke
2006: Straße ins Baugebiet Rosselen. Ein einziger Baum blieb stehen. Foto: C.Reimers
2006: Straße ins Baugebiet Rosselen. Ein einziger Baum blieb stehen. Foto: C.Reimers